Wenn du fotografieren lernen möchtest, wirst du schnell eine stattliche Anzahl von Videos, Tutorials, Blogartikel finden, mit zahlreichen Meinungen und Tipps wie du besser fotografieren lernen kannst.
Das ist an sich auch noch keine schlechte Sache.
Aber dabei verliert man sich sehr einfach und schnell in zahllosen technischen Details, Begriffen, Regeln und es entsteht das (nicht ganz falsche) Gefühl, dass Fotografie ein immens großes Themengebiet ist, bei dem man ein Leben lang lernen kann.
Wo also anfangen?
Wie kann man bei einem so facettenreichen Thema am richtigen Punkt anfangen und wirklich fotografieren lernen, statt sich von Artikel zu Artikel nur noch mehr zu verwirren.
Deshalb landen nämlich so viele Kameras, die mit so viel Hoffnung und Vorfreude gekauft wurden, irgendwann in einem verstaubten Kasten oder Dachboden.
Überforderung, Ermüdung, Frust.
Das finde ich schade, weil es sich relativ leicht verhindern lässt.
Starte mit dem fotografieren lernen genau dort, wo es am meisten Sinn macht: Bei dir, deiner Wahrnehmung, deinem Auge, deinem „Motiv“ (warum du das eigentlich machst) und nicht bei der Technik selbst.
In diesem Artikel möchte ich dir 3 Möglichkeiten aufzeigen, wie du die Sache mit dem fotografieren lernen startest, indem du zuerst sehen lernst.
Das kannst du komplett ohne Kamera machen.
Oder einfach mit deinem Smartphone starten.
1. Fotografieren lernen durch radikale Entschleunigung
In unserer Zeit ist alles hektisch. Wir haben ständig „Notifications“, Hinweise, was wir tun sollten, was wir denken sollten, was wir nicht vergessen dürfen, Verpflichtungen, Termine,…
Entschleunigung ist also an sich schon mal eine gute Idee und tut uns gut.
Versuch einfach mal folgendes:
Nimm dir eine festgelegte Zeit (zum Beispiel eine Stunde) in der du dir nichts vornimmst. Rein gar nichts. (Allein das ist heutzutage schon ziemlich schwierig) Ein Spaziergang ist für mich die einfachste Form dieser Übung.
Wichtig: Sobald du merkst, dass dein Blick sich auf den Boden vor dir richtet, achte auf deine Gedanken. Höchstwahrscheinlich geht dir gerade etwas durch den Kopf.
Versuche deinen Blick zu heben und alle Gedanken, die da so kommen, einfach ziehen zu lassen.
Schau dich aktiv in deiner Umgebung um.
Gibt es irgendwo Licht und Schatten, die vielleicht etwas Interessantes formen?
Fällt an irgendeiner Stelle Licht zwischen Bäumen oder Gebäuden und zeichnet geometrische Formen auf dem Boden?
Gibt es rund um dich Menschen, Bewegung, Momente, die du gerade übersehen würdest, wenn du gedankenversunken an ihnen vorbeispazierst?
Sobald dir irgendetwas, egal wie klein und unscheinbar auffällt, bleib stehen.
Schau dir diese eine Sache länger an.
Kannst du dir einen „Rahmen“ um diese Szene, dieses Licht, diese Form vorstellen, der interessant sein könnte?
Könntest du mit deiner Kamera jetzt „angeln“ – also hier stehen bleiben, bis in dieser Szene etwas passiert, das ein wirklich interessantes Bild ergeben könnte?
Wie viel Geduld kannst du aufbringen, wie weit kannst du dich im Hier und Jetzt auf deine Umgebung einlassen, ohne den Drang zu verspüren weiterzugehen, etwas zu denken, etwas zu tun, eine Nachricht zu beantworten oder einfach unruhig zu werden?
Achtung: Diese Übung könnte dir zu Beginn enorm anstrengend erscheinen und zu wenig Ergebnissen führen.
Aber selbst dann ist diese Übung ein Erfolg!
Denn wenn du feststellst, dass es dir zu hart ist, weißt du, dass du hier sehr viel üben kannst.
Diese Fähigkeit ist nicht nur wichtig, wenn du fotografieren lernen willst. Auch (und besonders) langjährige, erfolgreiche Fotografen machen das auch nach langer Zeit noch.
Denn nur, wenn du in der Lage bist, dich voll und ganz in den Moment und deine Umgebung zu versenken, dich voll und ganz darauf einzulassen, kannst du überhaupt interessante Fotos machen.
2. Fotografieren lernen durch Reduktion
Neben der deiner eigenen Entschleunigung gibt es noch etwas, das du reduzieren kannst, um bessere Fotos zu machen.
Den Inhalt im Bild.
Einer der häufigsten „Fehler“, den ich bei Fotografie-Anfängern sehe, wenn sie fotografieren lernen wollen, ist der: viel zu viele Inhalte, Motive, Geschichten, Formen, Farben im Bild.
Selbst ein paar der erfolgreichsten Fotografen der Geschichte haben von sich selbst gesagt „Ich habe es nie geschafft, mit komplexeren Bildinhalten zu arbeiten“.
Weil das die Königsklasse eines guten Fotos ist.
Diese Übung kannst du ebenfalls ohne Kamera, oder mit der einfachsten Kamera, die dir gerade zur Verfügung steht machen.
Schaue dich nach Motiven in deinem Umfeld um. Nach Licht, das auf interessante Weise auf eine Oberfläche fällt. Geometrie, die sich durch Linien bildet. Menschen, die in einer interessanten Umgebung stehen…
Was auch immer es ist, das du dabei findest, frage dich – was wäre das simpelste Foto, das ich von dieser Szene machen kann?
Was von dem, was ich hier sehe, könnte ich aus dem Bild ausschließen, damit das eigentliche Motiv noch mehr Aufmerksamkeit bekommt?
Wie kann ich das Auge des Betrachters, der mein Foto anschaut, so gut wie möglich auf das lenken, was ich eigentlich zeigen wollte.
Die besten Fotos sind manchmal die einfachsten.
Und auch hier – unser Ziel ist mit dieser Übung nicht, sofort die besten Fotos der Welt zu schießen.
Du willst fotografieren lernen. Und indem du alles aus dem Bild wirfst, das nicht unbedingt nötig ist, erleichterst du dir selbst die Arbeit und gleichzeitig dem Betrachter, sich nicht in deinem Foto zu „verlaufen“.
3. Die „Weirdo auf Parkbank“ Übung
Die dritte Übung ist eine Weiterentwicklung der zweiten Übung. Sie klingt abgedreht. Weil sie es vielleicht auch ist. Aber der Effekt ist stark.
Dazu nur eine kleine Vorgeschichte:
Meine eigene Liebe zu Fotografie hat begonnen, als ich als Kind einen Regisseur in einem TV-Interview gesehen habe, der erklärt hat, wie er die Bildausschnitte für seinen Film findet.
Damals war weder Fotografie noch Film digital. Film kostete also enorm viel Geld und man hat sich sehr gut überlegt, ob man den Auslöser betätigt.
Was hat er also gemacht?
Er hat ein Stück Karton genommen, ein Loch im Format seines Films reingeschnitten und mit diesem Loch vor dem Gesicht hat er seinen Bildausschnitt gesucht.
Näher ran ans Gesicht = Weitwinkel, weiter weg vom Gesicht = Teleobjektiv.
So einfach, so effektiv.
Daraufhin habe ich mir den Deckel eines Schuhkartons gesucht und habe beschlossen: So werde ich jetzt fotografieren lernen!
Und genau das habe ich dann wochenlang durchgezogen.
Auf einem analogeren Weg kann man eigentlich garnicht mehr fotografieren lernen. Unmöglich. Selbst eine alte, analoge Kamera wäre da schon ein Fortschritt.
Der Punkt ist: Du blendest dabei alles, was dir im Weg stehen könnte, restlos aus.
Keine Knöpfe, keine Belichtungszeit, keine Blende, keine ISO Einstellungen, kein Fokus, rein gar nichts.
Du machst das, was Übung 2 tut, nur mit einem Rahmen drumherum.
Wenn du es an die Spitze treiben willst, dann mach diese Übung an einem einzigen Fleck und beweg dich dort nicht weg, bis du mindestens 10 interessante, schöne, ansprechende Bildinhalte gefunden hast.
Das wird deine Wahrnehmung schärfen, wie es kein Equipment der Welt kann.
In einem Buch über Fotografie habe ich vor langer Zeit ein Interview mit einem erfolgreichen Fotografen gelesen. Weder Buchtitel, noch Name des Fotografen habe ich mir gemerkt, aber ein Satz blieb in Erinnerung:
„Ich habe die interessantesten Fotos meiner 40-jährigen Karriere im Umkreis von 100 Metern rund um mein Haus gemacht“
Das belegt für mich eindeutig: Wir glauben, unsere Umgebung zu kennen. Aber erst, wenn wir uns die Zeit nehmen, sehen wir, was uns die meiste Zeit entgeht.
Der reine Blick durch den Sucher einer Kamera (oder in ein Loch einer Schuhschachtel) hilft uns fotografieren zu lernen, ohne eine Sekunde mit der Technik zu verbringen.
Das Wichtigste bei allen diesen Übungen: Wenn sie dir absurd erscheinen, dich die Ungeduld packt, du glaubst, dass sie nichts bringen, ist das ein starker Hinweis darauf, dass du im Begriff bist, Fortschritte damit zu machen.
Probier es aus und poste die Ergebnisse gern mit dem Hashtag #shootcamp auf Instagram und co.
Vor allem aber: Genieße die Zeit und die Ruhe, die dir diese Übungen schenken.